Erntedank ist jeden Tag

An Erntedank verleihen wir unserer Dankbarkeit gegenüber der Natur Ausdruck, in dem wir kleine Gaben opfern oder spenden, Erntedank- Tafeln schmücken oder zum Festmahl laden.

Das Dankbarkeitsopfer hat eine reiche und lange Tradition die weit über das christliche Glaubensbekenntnis und über die Landwirtschaft hinausgeht: Im Opfer verleihen wir der Gewissheit Ausdruck, dass jedes Nehmen eines ausgleichenden Gebens bedarf. Dieses tief empfunden Gleichgewicht gilt es immer wieder herzustellen und zu bewahren und deswegen eignet sich das Erntedankfest besonders, um an einige Punkte zu rühren die im Alltag oftmals vergessen gehen: Die Natur schuldet uns nichts. Sie existiert einfach und wir bedienen uns ihrer Schätze. Es ist an uns, Sorge zu tragen, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt und dieser Sorge sind wir nun schon seit einiger Zeit nicht mehr nachgekommen.

Kulturhistorisch kann die beispiellose Zerstörung und Ausbeutung der Natur wohl darauf zurückgeführt werden, dass wir Menschen uns als Krone der Schöpfung wähnen und alles Leben auf Erden als unser Eigentum betrachten. Anders ist kaum zu erklären, weshalb wir unseren Nutztieren nicht einmal minimale Rechte zuerkennen und die Treue, mit der sie uns seit Jahrtausenden Begleiten oft mit unwürdigen Lebens- und Todesumständen vergelten. Warum die Landwirte dazu übergegangen sind, auch Ackerraine und Wegränder mit Insektiziden und Herbiziden zu bewirtschaften und damit jeglichem Wildgetier die Lebensgrundlage rauben. Warum wir noch den letzten kleinen Fisch aus den Meeren herausfischen und völlig sinnfrei Wale töten und damit den Lebensraum der Meere irreparabel beschädigen. Seit langem schon nehmen wir mehr als wir brauchen und mehr als uns zustünde wenn wir uns als Teil des Lebens und nicht als Blüte, die es unter allen Umständen zu nähren gilt sehen würden.

Kulturelle Prägungen sind nur sehr schwer zu verändern: vielleicht erklärt das, warum wir uns mit einer echten Teilhabe nichtmenschlichen Lebens so schwertun. Es würde ja schon viel bringen, wenn wir uns der Verpflichtungen bewusst würden, die mit dem Siegel „Krone der Schöpfung“ einhergeht: dass nämlich alles, was hier geschieht auf unsere Kappe geht und keinem Gott oder einer anderen Wesenheit die Verantwortung übertragen werden kann. Wir könnten beginnen, uns so zu verhalten als wären wir tatsächlich die Krone der Schöpfung und unsere Freiheit zu nutzen, die Dinge anders zu machen einfach nur aus dem Grund, weil wir dazu in der Lage sind: wir können weniger Fleisch essen und wir können anonymes Fleisch dessen Herkunft uns nicht klar erschlossen werden kann einfach ablehnen. Wir können weniger Milchprodukte essen und darauf bestehen, dass den Kälbern die Muttermilch gelassen wird anstatt alle paar Jahre Millionen von Litern in die Kanalisation zu entsorgen. Wir können weniger Fisch essen und darauf bestehen, dass die Fangmethode geeignet sein muss, um den Fortbestand der Art sicherzustellen. Wir können in unserem privaten Garten Blühstreifen anlegen und Vögel füttern. Wir können mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und einen fleischlosen Tag in der Kantine anregen. Wir können uns in unserer Gemeinde für das Pflanzen und den Erhalt von Bäumen einsetzen und den Landwirt in der Nachbarschaft bitten, Blühstreifen anzulegen. Wir können unsere Ersparnisse umschichten in umweltfreundliche Investments, im Bioladen einkaufen und den Dorfbäcker durch unseren Einkauf unterstützen. Und wir können netter zueinander sein und aufhören, uns wegen Meinungsverschiedenheiten gegenseitig abzuwerten. Ein friedlicheres, vielfältigeres Leben für alle ist möglich: wir müssen nur alle jeden Tag eine Kleinigkeit dafür tun.

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